Wenig Schlaf, großes Glück. Ich möchte keine 100-Prozent-Mutter sein. Damit es mir und dem Baby gut geht. Eine Elternzeitbilanz.
Kein Tag wie der andere
Der neue Alltag mit Baby: Eigentlich verläuft jeder Tag völlig anders, als geplant. So wie heute. Mein Baby liegt nun seit zwei Stunden in einer Trage auf meiner Brust und schläft friedlich. Endlich. Ausnahmsweise tut es das, während ich sitze. Mein Laptop ruht auf meinem Schoß. Das ist nicht unbedingt bequem, aber zumindest warm, und es ist besser, als E-Mails nur mit dem iPhone schreiben zu können, weil die andere Hand für das Kleine zuständig ist. Es wollte heute ausschließlich auf mir einschlafen, jeder andere Ort löste Protest aus.
Ich trage noch eine Jogginghose, bin ungeduscht, hatte zwei Tassen Kaffee, drei Stücke Schokolade und einen Joghurt. Es ist 17 Uhr. Draußen wird es schon dunkel. Vor zwei Wochen hätte mich der Verlauf dieses Tages noch sehr gestresst, jetzt nehme ich es gelassener. Meine kleine Tochter, die Mitte Dezember zur Welt gekommen ist, hat mein Leben nicht nur einmal auf den Kopf gestellt. Genauer gesagt wird es jeden Tag mehrfach herumgedreht, geschüttelt und neu sortiert. Es ist anstrengender als jeder Job, in dem ich bislang gearbeitet habe. Drei Wochen nach ihrer Geburt hatte ich das erste Mal Sehnsucht nach einem lauten Großraumbüro, obwohl ich völlig übermüdet auf dem Sofa saß. Ich hatte Sehnsucht nach einem Schreibtisch, nicht dem Wickeltisch, da ich endlich einmal wieder etwas tun wollte, ohne unterbrochen zu werden. Denn das ist die Lieblingsbeschäftigung des Babys: Für einen Film, den ich schaue, brauche ich etwa fünf Stunden, da ich immer wieder auf Pause drücken muss, mein Tee wird kalt, bevor ich ihn trinken kann, und Tage und Nächte gehen nahtlos ineinander über, weil ein kleines Kind diesen Rhythmus anfangs nicht kennt. Einfach einmal drei Stunden lang an einem Text zu schreiben, selbst ein viel zu langes Meeting hört sich momentan für mich sehr entspannt an.
Ich vermisse die Arbeit
Ich bin keine andere Person, seitdem ich Mutter bin, das habe ich sehr schnell gemerkt. Was mich von Zustand davor unterscheidet, ist, dass ich öfter den ganzen Tag im Bademantel verbringe – und dass ich echte Erschöpfung kenne. Dass ich meine Arbeit und den Alltag ohne Baby so schnell vermisst habe, hat mich überrascht. Es macht mir sogar ein schlechtes Gewissen. Denn diese Sprüche, dass ein Baby zu haben die großartigste Erfahrung der Welt ist, dass man in der Fürsorge um ein kleines Kind völlig aufgehen kann, sie stimmen für mich nicht. Sie stimmen nicht, weil sie daher gesagt oft absolut gemeint sind, und keinen Raum für andere Gefühle lassen. Mein Baby ist das Beste, was mir passiert ist, aber eben nicht 24 Stunden am Tag.
In den letzten Wochen habe ich gelernt, großzügiger mit mir zu sein. Mir ist es in der ersten Zeit mit dem Baby nicht einmal gelungen, ein Buch zu lesen. Da steht er, der Bücherstapel, unberührt und ein wenig vorwurfsvoll, denn ich war mir sicher, ihn im Bett zu lesen, während das Baby neben mir schlummert. Ich werde die Elternzeit sicher nicht nutzen können, ein Buch zu schreiben, und das hier ist mein erster Artikel, den ich nur schreiben kann, da die Recherche mein momentaner Lebensinhalt ist.
Ich muss großzügig damit umgehen, dass ich ein schlechtes Gewissen habe. Nicht dem Baby gegenüber, sondern den Erwartungen, die mich treffen. Väter können selbstverständlich ein paar Wochen nach der Geburt ihres Kindes wieder arbeiten gehen. Dass ich das auch gern würde, sage ich nicht in jedem Gespräch. Ich erwische mich dabei, die kurze Dauer meiner Elternzeit mit anderen Zwängen zu entschuldigen, als meinem tiefen Wunsch, wieder beruflich das zu tun, was ich gern tue. Ich meide Begegnungen mit Müttern, mit denen ich nicht vorher befreundet war, um nicht darüber reden zu müssen, dass ich anders als die Mehrheit der Frauen mit Kindern vor dem ersten Geburtstag des Babys wieder arbeiten werde. Würde ich meinen aktuellen Alltag noch zehn Monate lang fortsetzen, ich bekäme eine Elternzeitdepression, und ich wundere mich, dass es dieses Krankheitsbild noch nicht neben der Wochenbettdepression gibt. Zumindest redet kaum eine Frau darüber. Ein Jahr, das man vorrangig mit einem kleinen Menschen verbringt, der zwar zauberhaft süß ist, aber nicht spricht? Ein Jahr mit wenigen Gesprächen, aber viel Geschrei?
Die neuen Dinge, die das Baby Tag für Tag lernt, freuen mich. Aber sie durchbrechen nicht die Tristesse des Elternseins in den ersten Monaten. Ich schrieb es ja schon über die Schwangerschaft: Sie kann einsam sein. Die ersten Wochen mit Baby sind schlimmer. Vor allem, wenn es ein Winterbaby ist, und Kälte und Schneeregen Spaziergänge unmöglich machen. Vielleicht wäre das anders, wenn ich Gamerin wäre – aber ich bin Journalistin.
Mein Kopf hat Hunger
Was haben Frauen eigentlich während des Stillens eines Babys gemacht, bevor es das Internet gab? Durch das Fernsehprogramm gezappt? (Es ist zu jeder Tages- und Nachtzeit auf jedem Kanal grauenvoll.) Mit dem Partner gesprochen? (Früher blieben die Männer ja noch seltener Zuhause, Elternzeit gibt es auch noch nicht allzu lang.) Wurden sie von der Großfamilie unterhalten? (Ja, die fehlt mir tatsächlich: damit ich zum essen komme, damit die Wohnung nicht noch chaotischer wird, damit mal jemand auf das Baby aufpasst, während ich etwas anders tue.) Haben sie schlicht aus dem Fenster geschaut? In die schwarze Nacht und die Langeweile stoisch ertragen?
Für all die Stunden, die ich Tag ein, Nacht aus damit verbringe, das Kind vor meiner Brust zu drapieren, damit es satt wird, ist das Netz ein Segen. Stillen und währenddessen mit einer Hand einen Tweet zu schreiben, das klappt nach ein paar Versuchen mühelos. Und nein, deswegen brauche ich kein schlechtes Gewissen haben. Wer möchte schon beim Essen die ganze Zeit angestarrt werden? Das Baby ist hoch konzentriert damit beschäftigt, zu trinken, aus der Zeitung vorlesen muss ich ihm dabei nicht. Also lese ich mir von einer Website vor, ich scrolle durch Tweets auf der Suche nach einem Text, einer Idee oder einer Debatte, die mich aus der Ödnis des Wochenbetts reißt. Ich bin erschöpft und aber gelangweilt, das niedliche Neugeborene bringt mein Herz zum Platzen und gleichzeitig nervt mich die Leere im Kopf, denn die ersten Wochen mit Baby fordern anders: nicht intellektuell, sondern rein körperlich und emotional. Doch den Kopf auszuschalten gelingt mir nicht. Er hat Hunger.
Angelika Hager brachte meine Gefühle in ihrem Buch „Schneewittchen-Fieber“ auf den Punkt: „Es war großartig, dass sie da war. Aber ich wollte nicht nicht arbeiten. Und meine Tage nicht auf dem Spielplatz verbringen mit anderen Müttern, die über ihre Kinder wie Rennpferde mit noch unausgeschöpftem Siegerpotenzial sprachen und einen durchgedrungenen Milchzahn wie einen Durchbruch in der Syrien-Krise feierten.“
Ich vermisse meinen Job, weil ich ihn gern tue, er mich fordert und ich Menschen um mich habe und neu kennenlernen kann, die ich mag und von denen ich lernen kann. Ich habe Glück. Ich habe großes Glück, neben einem zuckersüßen Baby, noch etwas anderes zu haben, das mich erfüllt. Gehöre ich damit zu einer Minderheit? Vielleicht würde ich freudestrahlend drei Jahre in den Erziehungsurlaub gehen, wenn ich einen cholerischen Chef gehabt hätte und keine Möglichkeit, den Job zu wechseln, wenn ich monotone Aufgaben gehabt hätte und die Aussicht darauf, dass mein Arbeitsalltag ein Leben lang gleich bleiben würde.
Wie sieht Glück aus?
Ob es stimmt, dass so viele Mütter lange bei ihren Kindern bleiben, weil es ihr großes Glück ist? Oder ist diese anstrengende, oft langweilige und immer unentgeltliche Arbeit nur die bessere Alternative, da auf der anderen Seite der Wickelkommode keine Aufgabe bereit steht, die ebenso schön sein könnte, oder sogar ein bißchen besser? Oder gehört Arbeit für viele Frauen weniger zu ihrer Identität und sie besitzen die beneidenswerte Fähigkeit, ihre Persönlichkeit über ganz andere Dinge zu definieren? Ist das etwa ein Defizit vieler Männer, die schnell wieder arbeiten wollen, weil sie ansonsten nicht wissen, wer sie sind? Ich kann diese Frage nur für mich beantworten: Glück ist für mich facettenreich.
Halb/halb
Für mich wäre das ideale Modell, die Elternzeit in Teilzeit geteilt mit dem Vater des Kindes: ein halber Tag Baby, ein halber Tag Büro. Mit dem ElterngeldPlus wird diese Möglichkeit in Zukunft noch stärker unterstützt, aber erst für Kinder, die nach dem 1.7.2015 geboren werden, und ob viele Eltern dieses Modell tatsächlich wollen und Unternehmen es ihren Mitarbeitern ermöglichen, wird sich erst noch zeigen.
Für mich ist die geteilte Elternzeit weniger eine Frage von Gerechtigkeit und der „Babypause als Karrierekiller“. Ich frage mich viel mehr, wie es eine Partnerschaft verändert, wenn eine Person fast ausschließlich die Sorge um den Nachwuchs und den Haushalt übernimmt und die andere Person Geld verdient. Denn Familie macht mehr aus als ein gemeinsames Abendessen. Doch im politischen Mainstream lässt sich nicht argumentieren, dass glückliche Familien das viel stärkere Argument für mehr Zeit miteinander sind, als bessere Karrieren.
Kinder sind das Beste, was dir passieren kann – das ist der Slogan, mit dem vor allem Frauen, die sich noch nicht sicher sind, ob sie Kinder haben wollen, oder sich sicher sind, kinderfrei glücklich zu sein, überzeugt werden sollen, dieses Abenteuer anzugehen. Ich kann diesen Satz erst wieder sagen, wenn ich mein Kind nicht mehr allein den ganzen Tag betreue. Denn viele Dinge können die schönsten sein, die du jemals gemacht hast. Nur eben nicht für den Rest des Lebens – und auch nicht ein ganzes Jahr lang rund um die Uhr. Denn auch nach den sieben schlaflosen, unersättlichen Nächten mit dem neuen Liebhaber möchte man auch wieder andere Dinge tun, nach vierzehn Tagen Strand vermissen viele ihr Körnerbrot, auch ein Lieblingskleid wird irgendwann von einem neuen abgelöst.
Adé Erwartungsdruck
Vieles kann das Beste sein, was dir passieren konnte. Doch nur, wenn wir anfangen diesen Spruch weniger ernst zu nehmen.
Vielleicht wäre es leichter, sich für ein Kind zu entscheiden, wenn es nicht als diese großartige Sache verkauft würde, bei der man nur versagen kann, wenn man den eigenen oder den Erwartungen von außen an das Elternsein nicht gerecht wird. Vielleicht wäre es leichter, sich für den richtigen Beruf zu entscheiden, wenn dieser nicht unter der Erwartung stünde, dass man mit einem vollen Konto und vielen Karrieretreppchen belohnt werden muss, um als erfolgreich zu gelten. Vielleicht wäre es leichter, sich für einen Partner zu entscheiden, wenn er nicht den Eltern und allen Freunden gefallen müsste, und man weder einschätzen kann noch will, ob die Liebe bis ans Ende des Lebens reicht.
Für mich ist diese Überlegung auch die Antwort auf Ann-Marie Slaughters Frage: “Can women have it all?” Was alles zu haben bedeutet, müssen wir für uns selbst entscheiden – frei vom Erwartungsdruck, was ein erfülltes Leben ausmacht. Glück braucht keine Kinder. Doch glückliche Kinder brauchen glückliche Eltern, keine perfekten. Eine Karriere bedeutet aus seinem Beruf Sinn zu ziehen und sich nicht zu entfremden, nicht aber einen kompromisslosen Aufstieg für prestigeträchtige Jobtitel. Eine Trennung kann besser sein, als eine trostlose Beziehung. “Having it all” meint nicht überall einhundert Prozent zu geben, das Leben aus dem Bilderbuch, sondern ein selbstbestimmtes.
Geteilte Arbeit, geteiltes Glück
Die Entscheidung, das Baby nicht ausschließlich allein zu betreuen, sondern auch andere Menschen hinzuzuziehen – egal ob Babysitter, Kita-Personal oder Verwandte – bedeutet nicht es „abzuschieben“, wie Konservative es gern formulieren, um Eltern ein schlechtes Gewissen zu machen. Ich sehe es so: Ich lasse mich unterstützen. Und dass Aufgaben zu teilen, gut ist, kennen wir auch aus dem Büro: Kollegen, die nicht delegieren können, versinken irgendwann im Chaos. Von Aufgabenteilung profitiert vor allem das Baby: Es trifft auf unterschiedliche entspannte Personen, anstatt auf eine, die müde ist.
Mein Baby ist das Beste, was mir passieren konnte. Doch dieses Glück kann ich nur teilen, wenn ich wieder anfange andere tolle Dinge zu tun, wie zu schreiben, mit Kollegen zu arbeiten, Freunde zu treffen und ausreichend zu schlafen. Das Beste, was uns passieren kann, ist es immer wieder andere Dinge tun zu können. Irgendwann dann vielleicht noch so ein großartiges Baby.
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